Aufstand in der Bonuspyramide

 Aufstand in der Bonuspyramide

Aus Sorge vor Karriereabrissen verweigert der Mittelbau den Digitalmanagern den Rückhalt – die Transformation wird zum Knochenjob. Wie finden Unternehmen aus der Misere?

Er stellte die IT-Organisation auf agile Beine und leitete die Transformation ein. Mottete die alten Wasserfallmodelle ein und entrümpelte Reportings und Excel-Listen. Bis der CIO eines deutschen Automobilbauers – für seine flotte Gangart bekannt – diesen Herbst hinschmiss. Er habe sich im Spagat aus Agilität und Rückbesinnung auf alte Muster zerrieben, ist in gut unterrichteten Kreisen der Unternehmens-IT zu hören. Denn die Bestellung eines neuen CEOs im August brachte nicht nur die Neuausrichtung der Strategie, sondern auch einen Rückfall in alte Muster: Der Neue will die Ressourcen wieder stärker auf den Autobau konzentrieren – und weniger auf digitale Dienstleistungen setzen, wie es sein Vorgänger tat. Das lässt die Rufe jener, die fordern, “es müsste wieder stärker gemanagt werden”, in den agilen Zirkeln lauter werden. Am Fortbestand der mühsam auf die Beine gestellten agilen Organisationsstruktur zweifelt zwar keiner ernsthaft. Was aber nicht heiße, dass “innerhalb der Struktur dann nicht wie früher gearbeitet wird”, hört man in der Fachabteilung.

In Widersprüchen zermahlen

Mit Widerständen in Veränderungsprojekten haben Transformationsmanager zu rechnen. Doch Dauer und Intensität machen den Unterschied, wie man diese wegsteckt. “Nach drei Jahren intensiver Arbeit war ich leer”: Den emotionalen Druck, ständig in Frage gestellt zu werden, konnte ein Transformationsberater, der lieber ungenannt bleibt, nur schwer verwinden. “Jeder, der als externer Dienstleister in eine Organisation kommt, ist nunmal ein rotes Tuch”, sagt er. Und es sind die leeren Kilometer, die viele verzweifeln lassen. Engelbert Wimmer kennt die Beispiele früherer Automobilmanager, die sich in täglich 15 Stunden Arbeit mit dem Eifer des Veränderers gegen die tradierten Standpunkte im Unternehmen stemmten. Und irgendwann feststellten: Diese Mühlen bringen mich um. Der Selbsterhaltungstrieb der angestammten Abteilungen sei nicht zu unterschätzen, sagt der Automobilberater und E&Co-Geschäftsführer. Das Controlling, die Finanz oder die HR würden nicht selten “quer im Stall” stehen und eine agile Planung mit kurzen Sprints und Vierteljahresbudgets vereiteln. Jetzt, wo sich die Konjuktur eintrübe und agile Arbeitsformen wieder stärker hinterfragt werden, würden sich Veränderungsmanager wie in Kafkas “Prozess” fühlen, sagt Wimmer.

Engelbert Wimmer
© Chloe Desnoyers

“Es erinnert an die Hochzeit der Internationalisierung. Damals fielen Manager ausgelaugt und von ihren Familien entfremdet aus dem Flieger.”

Engelbert Wimmer, Automobilberater und Geschäftsführer E&Co

Erst Party. Jetzt Hangover?

Phasen der extremen Auszehrung erlebten Manager auch in den großen Internationalisierungsschritten. Jetzt sind sie durch die digitale Transformation neuerlich herausgefordert. 

Damals fielen die in Asien und Südamerika stationierten Manager “ermüdet und von ihren Familien entfremdet aus dem Flieger”, sagt Wimmer. Auch heute würde der “den Managern eigene Veränderungsoptimismus” (O-Ton Wimmer) zunächst Euphorie bei den Akteuren entfachen – nicht selten gefolgt von einem harten Aufschlagen im “Digitalisierungs-Hangover”, sagt Wimmer. Der Workload, der auf den Fachabteilungen laste, sei “ein Hauptproblem”, sagt Christian Gülpen, Bereichsleiter Digitalisierung an der RWTH Aachen. Dieser werde nicht kleiner, zumal die klassischen Anreizsysteme in den Unternehmen oftmals nach wie die selben blieben: “Der Vorstand verkörpert vielfach immer noch die oberste Spitze der KPI- und Bonipyramide”, sagt er. “Er müsste sich zuallererst einmal selbst transformieren”, so Gülpen.

Christian Gülpen
© RWTH Aachen

“Der Vorstand ist die oberste Spitze der KPI- und Bonipyramide. Er hat sich zuallererst selbst zu transformieren.”

Christian Gülpen, Bereichsleiter Digitalisierung, RWTH Aachen

Nicht immer erkennen das Manager. Günter Eichhübl hat ein Bewusstsein dafür. “Die aktuellen Digitalisierungsbemühungen seien “mitnichten wie ein Tsunami, der den Strand rauffährt”, sagt der Geschäftsführer der auf elektromechanische Antriebe für Schienen- und Straßenfahrzeuge spezialisierten Traktionssysteme Austria. Die Absprungrate im Unternehmen hat sich in fünf Jahren auch deshalb auf neun Prozent verdoppelt, “weil wir alles an Aufträgen ins Haus geholt haben, was zu kriegen war”, sagt Eichhübl. Reibung, entstehe zuallererst auslastungsbedingt. Erst dann würden agile Methoden oder digitale Tools, die größere Transparenz bringen, “Widerstände provozieren”, so der Manager.

Günter Eichhübl
© Traktionssysteme Austria

“Digitalisierung ist kein Tsunami, der urplötzlich den Strand rauffährt. Reibung entsteht zuallererst auslastungsbedingt.”

Günter Eichhübl, Geschäftsführer Traktionssysteme Austria

Ausgepowert. Und nichts als leere Meter?

Die Angst vor Karriereabrissen lässt die Konflikte mit den Firmen-Neuerern schwelen. Häufig setzt sich die Behauptungskraft des Altsystems durch. 

Widerstand, zuweilen recht subtil vorgetragen: Das kommt einem Transformationsmanager bekannt vor. “Da sitzen Leute mit dem Stinkefinger in der Tasche im Meeting und lächeln dir dabei auch noch ins Gesicht”, sagt er. So extrem hat es Lisa Wöss entschieden nicht erlebt. Sehr wohl aber gebe es immer einige wenige, die “Theater spielen” würden, erzählt die Leiterin Innovations- und Technologiemanagement beim Landtechnikhersteller Pöttinger. Die als Product Owner in projektbezogenen agilen Teams nach außen hin heile Welt spielen – und dennoch “nach ihren eigenen Spielregeln agieren”, sagt Wöss. Das zehre zuweilen an der Subszanz, sagt sie. Doch sie genießt die volle Rückendeckung des Vorstands, es sei auch gar nicht ihre Aufgabe, Mitarbeiter “umzupolen”, sagt sie. Schließlich gebe es auch angenehmeres, als Mitarbeitern, die sich jahrzehntelang in einem System hocharbeiteten, das Recht zu verwehren, “im selben System ehrenvoll in Pension zu gehen”, beobachtet ein Experte.

Digital Office als Dekoration

Einer, der den Ausgleich sucht, ist Lenzing-Technik-Geschäftsführer Stefan Hofmayr. Das Unternehmen befindet sich inmitten einer Digitaloffensive. „Im Kick-off-Projektteam benötigt es zunächst Pioniere, die unvoreingenommen, also mit einer ‘blank page’, die Zukunft vorantreiben wollen”, sagt er. Mitarbeiter, die den Veränderungen noch negativ gegenüberstehen, werden erst in einem zweiten Schritt abgeholt und ins Projektteam integriert. Die Begeisterung ist der Schlüssel, mit dem ein solches Projekt erfolgreich wird“, erklärt Hofmayr.

Stefan Hofmayr
© Foto Humer, Lenzing

“Im Kick-off-Projektteam braucht es Leute, die mit einer ‘blank page’ starten.”

Stefan Hofmayr, Geschäftsführer Lenzing Technik

Ein Transformationsagent sei “nicht notwendigerweise auf der Suche nach Freunden”, sagt der Ex-Daimler-Leadership2020-Manager Tobias Ködel, heute Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens The Beautiful Ugly Truth. Er müsse “bewusst anecken und den bestehenden Status in der Organisation hinterfragen”, sagt Ködel. “Wen er das konstruktiv, fundiert und wertschätzend macht, wird er Menschen für das Neue gewinnen.” Externe haben es nicht unbedingt leichter, weiß ein anderer Transformationsberater.

Tobias Ködel
© Sven Cichowicz

“Ein Transformationsagent ist nicht notwendigerweise auf der Suche nach Freunden.”

Tobias Ködel, Gründer The Beautiful Ugly Truth

14-köpfig – vom Einkauf über die Kleinmaterialwirtschaft bis zur App-Entwicklung – war die Runde aus Vertretern der Fachabteilungen, die er bei einem Industriebetrieb von einer innovativen digitalen Lösung überzeugen wollte. Der Mehrwert lag am Tisch – doch er sollte für das 4.000-Mitarbeiter-Unternehmen entwicklerisch in Vorleistung gehen. “Da hört sich der Spaß auf”, sagt er, der das Projekt – wie im übrigen auch das Unternehmen – nicht weiter verfolgt hat. Wirklich überraschend kommt das freilich nicht. Getrieben aus der Sorge vor Karriereabrissen “lassen Mitarbeiter Innovatoren, besonders solche, die bloß eine “dekorative Stabsstelle” innehätten, “kalt abperlen”, beobachtet ein Experte.

Cultural Change. Mehr als ein Feigenblatt?

Mit härterer Peitsche im etablierten System den Wandel herbeizwingen zu wollen, führt nicht selten zur Ächtung.  

Dreiste Spiegelfechterei ortet ein Innovationsxperte etwa dann, wenn der Versuch, aus seiner alten Kultur zu schlüpfen, “bloß vordergründig” unternommen wird. Sei es mit der Errichtung eines neuen Innovationszentrums. Oder einer clean desk policy, die für Führungskräfte aber kreativ – etwa durch Ordnung schaffende Sekretärinnen – ausgelegt werde, sagt er.

Werner-Heinz Bittner
© ww.robertmaybach.com

“Durch das Herauslösen der Ventures aus dem Konzern verspüren wir keine allzugroße operative Hektik.”

Werner-Heinz Bittner, CEO Umdasch Group Ventures

Eine radikale Trennung des Stammgeschäfts mit evolutionärer Produktentwicklung von potentiell disruptiven Geschäftsideen hat die Umdasch Group forciert. Durch das Herauslösen der Ventures aus dem traditionellen Konzernteil – eine klare Eigentümerentscheidung – “verspüren wir keine omnipräsente operative Hektik und können uns auf unsere Aufgabe konzentrieren”,  sagt Werner-Heinz Bittner, CEO der Umdasch Group Ventures. Die Eigentümer sieht auch Engelbert Wimmer gefordert. “Betrachtet man den Manager als einen auf Zeit beauftragten Agenten, der die Zukunft produzieren soll, ist das Ergebnis nicht steigerbar, wenn man ihm mit härterer Peitsche bedient”, sagt Wimmer. Soll Digitalisierung mehr als nur ein Feigenblatt sein, dann erlaubt der Eigentümer es dem Transformationsmanager nicht, ” bis zur Selbstaufgabe Optimierung im alten System zu betreiben”, sagt er.

Heinz Paar
© beigestellt

“Überbordende Managementnormen führen uns an den Rand des Organisationsverschuldens.”

Heinz Paar, Geschäftsführer Fischer Edelstahlrohre

Folienschlachten. Und verschlissene Mitarbeiter

Derlei zwanghaften Trieb zur Effizienzsteigerung hat etwa Daniel Tomaschko in seinem Umfeld oftmalig erlebt. Er erzählt von Folienschlachten und “Videokonferenzen für Dinge, deren Sinn keiner mehr versteht”. Der Rosenbauer-Manager, der beim Feuerwehrausrüster aus Leonding nach nur knapp einem Jahr in den Vorstand einzog, will in seiner beruflichen Laufbahn einige Burnout-Fälle erlebt haben. “Die Kollegen fanden nie mehr in den Job zurück”, bedauert er. Knallharte Effizienzziele, die infolge knapper Budgets unerreichbar schienen, sieht er dafür als Gründe. Er könnte sich vorstellen, dass nach dem Dieselskandal der Druck in großen Konzernen, gegen den sich Rosenbauer mit knapp 4.000 Mitarbeitern als vergleichsweise kleiner Fisch ausnimmt, “sicher nicht kleiner geworden” sei.

Daniel Tomaschko
© Rosenbauer

“Ich habe in meiner Laufbahn einige Burnout-Fälle erlebt. Sie alle fanden zu meinem großen Bedauern nie mehr in den Job zurück.”

Daniel Tomaschko, CTO Rosenbauer

Für ihn sei das “klare Aufteilen von Verantwortlichkeiten” ein Erfolgsfaktor für die Transformation. Letztlich trage auch das System Mitschuld daran, dass immer höherer “Druck auf das Management und allen seinen Schnittstellen in der Organisation” laste, sagt Heinz Paar. “Freigeistig betriebene Selbstverwirklichung, die Kreativität und Selbstfindung an die oberste Stelle stellt, prallt auf eine Normenunterworfenheit, die Manager latent der Gefahr aussetzt, sich eines Organisationsverschuldens strafbar zu machen”, sagt der Geschäftsführer Fischer Edelstahlrohre. Die Pflichterfüllung bei der Umsetzung der HLS(high level structure)-Managementnormen ließen “Führungs- und operative Ebene auseinanderdriften” und das Zeitkontingent für Innovation schrumpfen, sagt Paar.

 

Daniel Pohselt, Jänner 2020

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